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Wir zeigen, was sich wirklich hinter den Mauern der Tierindustrie abspielt.

Grausam und immer noch erlaubt: Anbindehaltung in Deutschland

ARIWA liegen Aufnahmen aus 16 Ställen in Bayern und Baden-Württemberg vor. Sie dokumentieren langanhaltende Schmerzen und Leiden bei der Anbindehaltung von Rindern. Währenddessen bereitet der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir eine Änderung des Tierschutzgesetzes vor, nach der diese tierquälerische Haltung weiterhin erlaubt sein soll!

Über eine Million Rinder leben im Jahr 2024 immer noch in sogenannter „Anbindehaltung“. Am Hals fixiert stehen, liegen, ruhen, essen und leben die Tiere an einem Platz im Stall und können sich dabei nicht einmal umdrehen – auch in Biobetrieben. Sie fristen ihr Dasein in oft dunklen, maroden Ställen, die in den allermeisten Fällen kaum bis gar nicht eingestreut sind. Hochgradige Verschmutzungen sind keine Ausnahme, sondern die Regel. Keine Bewegung, keine Körperpflege, keine sozialen Interaktionen mit Artgenossen; alles, was Grundvoraussetzung für Wohlergehen ist, wird den Tieren in Anbindehaltung verwehrt – das führt sowohl zu körperlicher, als auch seelischer Verwahrlosung.

Trügerische Bayern-Idylle

Das Material zeigt teilweise hochgradig verschmutzte Tiere, die festgebunden an einem Platz im Stall stehen. In mehreren Betrieben sind die Anbindevorrichtungen so kurz, dass die Tiere sich fast überhaupt nicht bewegen können. Durch die großflächig vertrockneten Kotplatten leiden einige Tiere bereits unter Hautabschürfungen. Zusätzlich zur Halsfixierung werden aus Gründen der Arbeitserleichterung weitere Mittel wie „Fußfesseln“ oder „Kuhschwanzhalter“ eingesetzt. In zwei Betrieben dokumentieren die Aufnahmen sogar an kurzen Stricken angebundene Kälber, was einen Verstoß gegen die geltende Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung darstellt. In mehreren Betrieben zeigen die Aufnahmen Logo-Schilder oder Milchtransporter bekannter Molkerei-Unternehmen und sogar eines Bio-Verbandes.

Cem Özdemir legitimiert Tierquälerei: Anbindehaltung weitere 10 Jahre erlaubt

Der neue Entwurf des Tierschutzgesetzes enttäuscht insbesondere hinsichtlich der Anbindehaltung. Der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir legitimiert Tierquälerei und erlaubt das Anbinden von Rindern für weitere zehn Jahre. Mit dieser fatalen Fehlentscheidung beweist Özdemir erneut fehlendes Rückgrat und verkündet eine weitere bittere Enttäuschung in Sachen Tierschutz. Anstatt seiner Verantwortung dem Tierschutz gegenüber nachzukommen und sich konsequent für die rein pflanzliche Agrar- und Ernährungswende stark zu machen, zementiert er eine Industrie, die keine Zukunft haben kann.

Das Ausüben arteigener Bedürfnisse ist bei Tieren – ebenso wie beim Menschen, Grundvoraussetzung für Wohlbefinden. Die Anbindehaltung verwehrt dies den Rindern jedoch gänzlich: Sie können sich ein Leben lang oder die meiste Zeit ihres Lebens nicht fortbewegen, ungehindert ruhen, ihre Nahrung durch Grasen auf einer Wiese aufnehmen, ihre Körper pflegen und pflegen lassen und mit Artgenossen interagieren. Die massive Einschränkung dieser und weiterer natürlicher Bedürfnisse schränkt das Verhaltensrepertoire der Tiere in einer Form ein, die es ihnen unmöglich macht, sich an eine solche Haltungsumwelt anpassen zu können. Das führt zu erheblichem körperlichem Leid [1]. Hinzu kommen haltungsbedingte Verletzungen wie eingewachsene Ketten, Quetschungen am Hals, Gelenks- und Euterentzündungen, Klauenprobleme und Verwahrlosung durch die haltungsbedingt meist katastrophalen und für die Tiere äußerst belastenden Hygienezustände [2].

Arteigene Verhaltensweisen werden den Rindern auch in Haltungsformen wie der Laufstallhaltung verwehrt. Die Trennung von Kuh und Kalb unmittelbar nach der Geburt unterdrückt das Mutter-Kind-Verhalten und lässt Traumata entstehen. Qualzuchtbedingte Erkrankungen wie Fruchtbarkeitsstörungen, Klauenerkrankungen oder Stoffwechselstörungen sind in der Milchproduktion keine Ausnahme, sondern die Regel [3, 4]. Für die Milch- und Fleischproduktion sterben jährlich Hunderttausende von Kälbern innerhalb ihrer ersten Lebenswochen [5]. Sie werden ihren Müttern entrissen und mit etwa 14 Tagen isoliert in Kälberiglus gehalten, die dem Bewegungs- und Spieldrang der Tierkinder nicht gerecht werden. Dieses und weiteres Leid wird in allen Haltungsformen verursacht – egal ob in konventioneller, Tierwohl- oder Biohaltung.
[1] Hahn/ Kari, NuR 2021, 43, 599: Leiden Nutztiere unter ihren Haltungsbedingungen? – Zur Ermittlung von Leiden in Tierschutzstrafverfahren. Online abrufbar unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s10357-021-3890-7 (04.04.24).

[2] Expertise For Animals (2023): Die Ketten lösen: Eine umfassende Untersuchung der Anbindehaltung von Rindern. Online abrufbar unter: http://www.tfvl.de/wp-content/uploads/2023/08/Expertise-for-Animals-2023.-Die-Ketten-loesen.pdf (04.04.24).

[3] Cirsovius, 2022: Tierschutzrechtliche Vorgaben im Zusammenhang mit der Milchviehzucht. Online abrufbar unter: https://djgt.de/wp-content/uploads/2022/06/22_04_07_Cirsovius_Gutachten-Milchviehzucht.pdf (04.04.24).

[4] Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, TiHo (2020): Tiergesundheit, Hygiene und Biosicherheit in deutschen Milchkuhbetrieben – eine Prävalenzstudie (PraeRi). Abrufbar unter: https://ibei.tiho-hannover.de/praeri/uploads/report/3115_BA%20LP_Lahmheit%20und%20Technopathie_Seite_104-177.pdf (04.04.24).

[5] Interview mit Martine Hoedemaker (2019): Wissenschaftlerin: Es sterben zu viele Kälber in Deutschland. Online abrufbar unter: https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/wissenschaftlerin-es-sterben-zu-viele-kaelber-in-deutschland-20379043 (04.04.24).

Text: Animal Rights Watch e.V. | Bilder: Animal Rights Watch e.V.

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