“Bei Berlin gab es noch keine bio-vegane Landwirtschaft, deshalb haben wir diese Entwicklung selbst in die Hand genommen!”

2018 startete die bio-vegane solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) PlantAge bei Berlin. Soweit wir von ARIWA wissen, ist das die vierte bio-vegane SoLaWi in Deutschland. Was PlantAge ausmacht und was bio-vegan und solidarische Landwirtschaft überhaupt heißen, das erklären sie uns im Interview.

November 2020, Berlin

Hallo Judith und Frederik. Vielen Dank, dass Ihr Euch Zeit nehmt, mit uns zu sprechen. Ihr habt eine bio-vegane solidarische Landwirtschaft bei Berlin aufgebaut. Könnt Ihr uns mehr dazu erzählen?

Bio-vegan bedeutet biologisch, ohne Nutztiere und ohne tierliche Dünger zu wirtschaften. Diese Form der Landwirtschaft ist noch wenig bekannt, aber gerade im Ökolandbau wird auch viel Mist eingesetzt. Zudem kommen noch Schlachtabfälle zum Einsatz. Als vegan lebende Menschen wollen wir dieses Wirtschaften so nicht unterstützen. Bei Berlin gab es noch keine bio-vegane Landwirtschaft, deshalb haben wir diese Entwicklung selbst in die Hand genommen, anders wäre eine regionale und saisonale bio-vegane Versorgung nicht möglich. Im September 2018 haben wir die Genossenschaft gegründet, im Mai 2019 starteten wir mit der Gemüselieferung. Inzwischen sind es schon 600 Haushalte, die wöchentlich ihre Gemüsekiste in eine der über 40 Verteilstationen in Berlin und Brandenburg abholen können.

Mitglieder und alle Interessierte können bei den Mitmachtagen, die i.d.R. einmal im Monat stattfinden, auf dem Acker mit anpacken. Zweimal im Jahr machen wir eine große Umfrage unter den Mitgliedern, um deren Wünsche an den Inhalt der Gemüsekiste zu hören und diese in die Planung einzubeziehen.

Warum wirtschaftet Ihr bio-vegan?

Unser Ziel ist es, in der Landwirtschaft nicht auf Nutztiere angewiesen zu sein, und so der Tierindustrie die Argumente zu entziehen, dass wir anderenfalls auf tierlichen Abfall angewiesen sind. Wir wollen die Lebensmittelproduktion im gesamten Kreislauf vegan gestalten. Was heute als vegan im Supermarkt deklariert wird, ist noch lange nicht vegan angebaut worden. Außerdem entziehen wir der tiergestützten Landwirtschaft die Nachfrage. Bei dutzenden veganen Restaurants und tausenden von Veganer*innen in Berlin können wir schon was bewegen. Neben tierethischen Motiven spielen aber auch Gründe der Welternährung eine Rolle, denn wenn wir im Jahr 2050 bereits 11 Milliarden Menschen sein werden, wird für weitere Nutztiere praktisch kein Platz mehr sein. Wir wollen schon heute Lösungen für dieses aufkommende Problem aufzeigen und umsetzen.

Es wird immer wieder behauptet, eine Landwirtschaft ohne tierlichen Dünger funktioniere nicht. Was sagt Ihr dazu?

Momentan produzieren wir zu viel an tierischen Düngern. Das Bundesministerium für Landwirtschaft forciert den Aufbau einer Fleisch exportierenden Industrie. Eines der Probleme ist, dass dabei nur wenige Großbetriebe Gewinn erwirtschaften, am Ende aber kleine Bäuer*innen, die Umwelt und vor allem die Tiere dafür zahlen müssen. Die Nährstoffe in tierischen Düngern sind oft keimbelastet, wasserlöslich und gelangen so in unser Grundwasser, in Flüsse und in die Meere, wo Algenblüten und Fischsterben die Folgen sind. Der Verband der Wasserwirtschaft rechnet mit Mehrkosten von bis zu 4 Milliarden Euro jährlich für die Säuberung des Trinkwassers mittels neuer Technologien. Bei Nutztierhaltung wird viel Pflanzenenergie in den Aufbau des Organismus der Tiere gesteckt, viel Energie geht durch Wärmeabgabe verloren und befeuert über die Atmung in Form von CO2 und Methan den Klimawandel.

Und diesen Wahnsinn wollt Ihr nicht mitmachen?

Genau. Ziel ist es, gesunde Böden aufzubauen, die nicht auf eine jährliche Gülleflut angewiesen sind. Dies geht nur, indem wir mit der Zeit den Böden mehr Nährstoffe hinzufügen, als sie verlieren. So kann die Landwirtschaft zur Reduzierung des Klimawandels beitragen, statt ihn zu befeuern. Dazu müssen die Nährstoffe im Boden so gebunden werden, dass sie nicht auswaschbar sind. Organisches Material wird angebaut, entzieht der Luft Kohlen- und Stickstoff, der dann in den Boden eingearbeitet und dort gebunden wird. Eine Methode, um die Nährstoffe im Boden zu fixieren, ist für uns eine spezielle Art der Kompostdüngung. Wir nehmen die Futterpflanzen und kompostieren diese über sehr lange Zeiträume, bis daraus Humuserde entsteht, die wir dem Boden zurückgeben. Nur, wenn wir uns auf den Boden als Zentrum einer nachhaltigen Landwirtschaft fokussieren, werden wir langfristig gesunde Pflanzen anbauen können, intakte Ökosysteme fördern und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Warum habt Ihr eine SoLaWi gegründet und nicht einfach einen „normalen” Hof aufgemacht?

Ein normaler Hof hat neben der landwirtschaftlichen Tätigkeit auch immer die Aufgabe der Vermarktung. Entweder ist die Preiskonkurrenz im Handel zu hoch oder es muss viel Arbeit investiert werden, um eine Direktvermarktung aufzubauen. In der solidarischen Landwirtschaft schließen sich Verbraucher*innen und Hof zusammen, um für ein Jahr gemeinsam die Risiken und Erträge der Landwirtschaft zu teilen. Dieser Gedanke gefällt uns, da wir als Verbraucher*innen so in den Prozess des Anbaus mit einbezogen werden. Zwei Mal im Jahr kann jedes Solidar-Mitglied auf dem Hof mit anpacken, dafür gibt es aber auch die Möglichkeit, mitzubestimmen, was angebaut wird.

Solawi PlantAge

Seid Ihr mit anderen bio-veganen Landwirt*innen und anderen SoLaWis vernetzt? Gibt es gegenseitige Unterstützung?

Sehr guten und regelmäßigen Kontakt haben wir zu allen anderen Gemüsegenossenschaften in Deutschland. Wir haben uns zu einem eigenen Netzwerk zusammengeschlossen, da die Bedürfnisse von Genossenschaften im Vergleich zu anderen Solawis, nochmal etwas spezieller sind. Einmal im Jahr findet ein Netzwerk treffen statt und über Slack stehen wir uns gegenseitig zu vielen verschiedenen Fragen zur Verfügung. Besondere Unterstützung haben wir vom WirGarten in Lüneburg und dem Kartoffelkombinat in München erhalten. Welche beide übrigens auch vorwiegend vegan wirtschaften. Auch der Förderkeis Biozyklisch-Veganer Anbau e.V. steht uns zu Fragen rund um den bioveganen Anbau zur Verfügung.

Was sind Eure nächsten Schritte?

Die PlantAge eG (eingetragene Genossenschaft) ist schon jetzt, im zweiten Anbaujahr, die größte solidarische Landwirtschaft in Berlin und plant, im Jahr 2021 insgesamt 1.000 Haushalte zu beliefern. Geplant für die nächsten Jahre ist die “Vollversorgung ohne Sorgen”. Eine Idee, die auf große Begeisterung bei den Genoss*innen stößt. Neben Gemüse möchte die Genossenschaft für ihre Mitglieder ein breites Spektrum an veganen Lebensmitteln anbieten, die möglichst regional, saisonal und biologisch angebaut sind. Eigene
Produkte wie Tomatensoßen, Rote-Beete-Aufstriche und Apfelsaft wurden bereits produziert. Ein Online Shop für biovegane Lebensmittel wird gerade getestet.

Welches Feedback und Unterstützung bekommt Ihr aus der veganen Bewegung und Tierrechtsbewegung?

Das Feedback ist durchweg positiv. Unterstützung erfahren wir von allen Seiten durch Bewerben unseres Vorhabens auf Veranstaltungen oder durch Hinweise, wo Ackerflächen zu erwerben sind. Die Mitglieder bei plantAge sind ja auch so unterschiedlich wie die vegane Bewegung selbst. So sind unsere Mitglieder fast alle in noch anderen Vereinen, Parteien und Aktionen der veganen Bewegung aktiv. So entsteht eine starke Vernetzung und gegenseitige Unterstützung.

Wo findet man mehr Infos über euch?

Wer Interesse an der SoLaWi hat, schaut am Besten auf www.plantage.farm vorbei. Dort gibt es den Mitgliedsantrag zum Download, und auch über weitere Termine wird dort informiert. Eine weitere gute Möglichkeit ist unser Newsletter, die Eintragung kann auch über die Homepage geschehen. Wir schicken ca. einmal im Monat ein Update zum Stand der Planung und eine Übersicht über anstehende Termine raus. Auf instagram sind wir auch ganz aktiv und erfreuen viele Menschen mit tollen Bildern aus der bio-veganen Landwirtschaft.

Stand: 11/2020 | Text: © Animal Rights Watch e.V. | Bilder: © PlantAge

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