Agrarlobby

Kommunikationsstrategien der Tierindustrie – Mythen

Für die Rechtfertigung und Beschönigung ihrer Praktiken bedient sich die Agrarindustrie verschiedener Mythen. Das sind Aussagen oder Erzählungen, die immer wieder behauptet, aber nie plausibel begründet werden – was kein Wunder ist, weil sie sich nicht plausibel begründen lassen, da sie schlicht falsch sind.

Einer der beliebtesten Mythen in diesem

Zusammenhang besagt: Für das Wohlbefinden seiner Tiere zu sorgen, liege im ureigensten Interesse jeder Landwirtin, da sie nur mit Tieren, die sich wohlfühlten, profitabel wirtschaften könne. Diese Aussage findet sich in unterschiedlichen Varianten in verschiedensten Publikationen und Aussagen von Lobby-Vertreter*innen. Begründet oder belegt wird die Aussage eigentlich nie.

Einschätzung

Wahr ist: Wenn der Halter*in alle Tiere frühzeitig wegsterben oder viele Tiere so krank sind, dass sie nicht mehr zunehmen, wenig Milch geben oder keine Eier mehr legen, hat der Tierhalter ein wirtschaftliches Problem.

Das heißt aber nicht, dass es in seinem wirtschaftlichen Interesse ist, jedes Einzeltier bestmöglich gesund zu halten – auch mit einem Stall mit vielen kranken Tieren lässt sich gutes Geld verdienen. Hinzu kommt, dass Gesundheit und Wohlbefinden nicht dasselbe sind: Auch wenn ein Tier körperlich gesund ist, heißt das nicht, dass es ihm auch gut geht.

Konkrete Tatsachen, die den Mythos widerlegen:

  • Es wird auch von Lobby-Vertretern zugestanden, dass die klassische Käfighaltung von Legehennen, die seit 2010 in Deutschland verboten ist, „nicht artgerecht“ ist. Trotzdem konnte man mit der Haltung von Legehennen viel Geld verdienen – und in anderen Ländern, wo die Haltung noch erlaubt ist, geschieht das noch immer.
  • In konventionellen Mastställen der PHW-Gruppe (Marke Wiesenhof) haben einer Studie der LMU München zufolge 87,7 % der Tiere Ganganomalien, 18 % sogar schwere Beeinträchtigungen beim Laufen. Das sind 7.200 Tiere in einem normalen Stall von 40.000 Hühnern. (Siehe auch diesen FAZ-Artikel)
  • Ebenso haben laut derselben Studie in konventionellen Mastställen von Wiesenhof-Hühnern 35.2 % der Tiere Fußballenerkrankungen. Der Grund liegt in der vollgekoteten Einstreu. Dabei muss man bedenken, dass die untersuchten Ställe unter wissenschaftlicher Beobachtung standen, d.h. dass hier bestimmt nachgestreut wurde, was real häufig nicht geschieht.
    Zu Fußballenkrankheiten ist außerdem interessant: Die Niedersächsische Landwirtschaftskammer forscht dazu, wie man diese verbessern kann, und sieht sie als einen Tierschutzindikator. Mit den Mastleistungen hat sie offenbar nichts zu tun.
  • Schlachtkörperuntersuchungen bei Schweinen zeigen, dass diese trotz ihres jungen Schlachtalters (6 Monate) häufig schon zahlreiche Krankheiten hatten: Für das zweite Halbjahr 2012 gab die Firma Westfleisch in der Zeitschrift Schweinezucht und Schweinemast (3/2013) an, dass 12,8 Prozent der Schweine Zeichen von (nicht akuter, sondern wohl bereits überstandener) Lungenentzündung aufwiesen; 8,2 Prozent die einer Brustfellentzündung; 9,2 Prozent Leberschäden durch Parasitenbefall. Die vierthäufigste Erkrankung, die sich am geschlachteten Tier feststellen ließ, war eine Herzbeutelentzündung mit 4,1 Prozent. Siehe der SZ-Artikel „Saumäßig krank“.
  • Dem Schweineproduzenten Straathof wurden wiederholt schwere Verstöße gegen das Tierschutzgesetz nachgewiesen. Sein Konzern hat trotzdem – oder deswegen? – in denselben Jahren satte Gewinne eingefahren (vgl. Geschäftsbericht im Bundesanzeiger)

Allgemeine Überlegungen:

  • Es gibt viele Leiden, die sich nicht oder kaum in verringerten Leistungen niederschlagen. Viele Tiere werden in so jungem Alter getötet, dass die vorhandenen Krankheiten noch nicht wirtschaftlich ins Gewicht fallen. Auch ein Huhn mit Fußballenentzündung oder Gehstörungen nimmt zu, auch eine Sau mit Schulterläsionen bekommt viele Ferkel, auch eine Kuh, die um ihr Kalb trauert, produziert Milch.
  • Die Gesundheit der Tiere ist nur ein Faktor in der wirtschaftlichen Kalkulation. Was zählt, ist aber das Zusammenspiel. Selbst wenn Krankheiten zu Leistungseinbußen führen, heißt das nicht, dass die Krankheiten verhindert werden sollten – das hängt davon ab, wie viel es kosten würde, die Krankheiten zu verhindern. Um zum Beispiel die Lungenerkrankungen von Schweinen zu verhindern, müsste man massiv in die Lüftungssysteme bzw. in das Güllemanagement investieren – was im Zweifel teurer ist, als etwas verringerte Gewichtszunahmen in Kauf zu nehmen.
  • Eine gewisse Verlustrate ist bei jeder Haltungsform wirtschaftlich einkalkuliert. Bei Masthühnern sind es z.B. 3 bis 5 % der Tiere, die während der Mastperiode in den Anlagen verenden.
  • Teilweise wird durch leidvolle Maßnahmen auch die Wirtschaftlichkeit erhöht: Ferkel werden kastriert, damit das Fleisch nachher keinen Ebergeruch hat. Sauen werden nach der Besamung vier Wochen bewegungslos im Kastenstand gehalten, weil das die Chance der Trächtigkeit vergrößert. Schweine leben auch auf wenigen Quadratmetern, weil sie dann weniger Energie durch Bewegung verbrauchen und mehr in Gewichtszunahme investieren.
  • Diese Überlegungen zeigen auch schon: Gesundheit ist nicht dasselbe wie Wohlbefinden. Das wird aber durch den Mythos suggeriert. Selbst wenn die Tiere in der Nutztierhaltung generell gesund wären (was nicht der Fall ist), folgt nicht, dass sie nicht leiden. Langeweile, Trennungsschmerz, Hitze, Frustration zahlreicher Bedürfnisse – all das sind Leiden, die sich nicht im Gesundheitszustand ausdrücken müssen.

Realer Zusammenhang

Es gibt durchaus einen Zusammenhang zwischen Tierwohl und wirtschaftlicher Leistung, nämlich diesen: Auf das Wohl der Tiere wird nur dann und nur insofern geachtet, wie es den wirtschaftlichen Erfolg fördert oder zumindest nicht verringert.

Manchmal kommen Gewinninteresse und Tierschutz zusammen. In den meisten Fällen allerdings kostet mehr Tierwohl zusätzliches Geld. Letztlich geben das die Lobbyverbände selber zu, wenn sie immer fordern, dass Verbesserungen des Tierschutzes auch entlohnt werden müssten. Mehr Platz, mehr Beschäftigung, weniger Kotgestank, Auslauf etc. – all das kostet Geld. Und Geld wird in einem wirtschaftlich arbeitenden Unternehmen nur ausgegeben, wenn es sich rechnet.

Teurere Tierprodukte?

Daraus werden jetzt einige die Forderung ableiten, dass Tierprodukte im Handel mehr kosten müssen, damit die Halter*innen sich die Mehrkosten für “mehr Tierwohl“ leisten können. Hierbei ist allerdings zu beachten:

  1. Auch vergleichsweise teure Verbesserungsmaßnahmen verändern das Leben der Tiere – gerade in Anbetracht ihrer wirklichen Bedürfnisse – nur minimal.
  2. Das Prinzip, wonach das Wohlbefinden und alle Bedürfnisse der Tiere dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens untergeordnet werden, bleibt in allen kommerziellen Formen der Tierhaltung gleich. Auch in den „alternativen“ Betrieben wird nur dann und nur insofern auf das Wohl der Tiere geachtet, wie es wirtschaftlich Sinn ergibt. Die Folge ist, dass es den Tieren häufig auch dort ziemlich dreckig geht. Und in jeder Haltungsform bleiben die Tiere Nutztiere, die zum ökonomisch sinnvollsten Zeitpunkt geschlachtet werden. Echter Respekt für Tiere bedeutet, sie gar nicht mehr als Waren und Produktionsmittel anzusehen, die zu menschlichen Zwecken Leistung erbringen müssen und nach einem kurzen Leben zu menschlichen Zwecken getötet werden können.

Stand: 07/2019 | Text: © Animal Rights Watch e.V. | Bilder: © Animal Rights Watch e.V.

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