
„Tierwohl“-Lüge – Systematisches Tierleid in Deutschlands Vorzeigebetrieben aufgedeckt
22. Mai 2025
Animal Rights Watch (ARIWA) deckt Missstände in 21 Schweinehaltungen in sechs Bundesländern auf – Betriebe, die sich mit „Tierwohl“ schmücken und Produkte über REWE, EDEKA & Co. vertreiben. Betroffen sind Anlagen mit der sogenannten „Haltungsform“-Kennzeichnung 3 und 4 sowie verschiedene freiwillige Tierwohl-Label. In mehr als der Hälfte der dokumentierten Fälle wurden Strafanzeigen wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz gestellt.
DER SPIEGEL berichtete am 22. Mai 2025, ZDF frontal am 27. Mai 2025.
Unsere bisher größte Veröffentlichung
Über sechs Monate hinweg wurde Bild- und Videomaterial in 21 Schweinemast- und Zuchtbetrieben gesammelt. Die Betriebe wurden per Zufallsstichprobe ausgewählt und alle produzieren für die Haltungsform 3 bzw. 4 oder für vergleichbare Programme. Diese Haltungsformen suggerieren fälschlicherweise deutlich bessere Bedingungen für Tiere, unterscheiden sich jedoch kaum vom gesetzlichen Mindeststandard, die auch für die unteren Stufen 1 und 2 gelten. Die Schweine bleiben weiterhin eingepfercht auf Betonspaltenböden, mit minimalem Platz und kaum Möglichkeiten für arttypisches Verhalten, wie die Aufnahmen zeigen (Mehr zum Thema „Tierwohl“). Dennoch fließen staatliche Fördergelder in Milliardenhöhe [1] genau in diese Haltungsformen – eine Täuschung der Öffentlichkeit, die massives Tierleid und ein gescheitertes System mit Steuermitteln am Leben erhält.
Die Aufnahmen aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern zeigen teils erschütternde Zustände in den Ställen und werfen ein düsteres Licht auf die Realität der Tierhaltung: Statt gesunder Tiere auf frischem Stroh sehen wir regelmäßig kranke, tote Ferkel, Gewalt und Verwahrlosung. In allen Betrieben vegetieren die Tiere in kleinen Betonbuchten vor sich hin. Die Realität widerspricht diametral den Werbeversprechen.
Das ist kein bedauerlicher Einzelfall. Das ist ein strukturelles Problem. Es ist der ethische Bankrott eines Systems, das weiter auf Tierausbeutung setzt – kosmetische Gesetzesänderungen, wie die geplante Novellierung des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes, werden daran nichts ändern.
Die Entwicklung der Tierwohl-Kennzeichnung
Schon 2019 führte der deutsche Einzelhandel die freiwillige „Haltungsform“-Kennzeichnung ein – mit vier, später fünf Stufen. 2023 wurde das staatliche Tierhaltungskennzeichnungsgesetz eingeführt – zunächst nur für frisches Schweinefleisch deutscher Herkunft. Die Einstufung in fünf Haltungsstufen bleibt freiwillig, verpflichtende Kennzeichnungen sind ab März 2026 geplant. Der politische Kurs ist nach dem Regierungswechsel ungewiss. Aus Tierrechtsperspektive ist das Gesetz ein Rückschritt: Statt die Tierindustrie in Frage zu stellen, stabilisieren Union und SPD mit Milliardeninvestitionen in „Tierwohlställe“ ein System, das auf der Ausbeutung fühlender Lebewesen basiert [2]. Die geplante Abschaffung genehmigungsrechtlicher Hürden und ein 20-jähriger Bestandsschutz für Tierhaltungsanlagen zeigen deutlich, worum es wirklich geht: Planungssicherheit für die Tierindustrie – nicht um das Wohlergehen der Tiere. Ein ausgeweitetes Kennzeichnungssystem mögen nach Fortschritt klingen, führen aber in Wahrheit nur zu einer noch stärkeren Normalisierung von Tierhaltung. Die Kennzeichnung bewertet Haltungsbedingungen und verkennt die strukturelle Gewalt, die jeder Form der Nutztierhaltung innewohnt. Aus unserer Perspektive kann echte Veränderung nur bedeuten: Rückbau statt Bestandsschutz, Ausstieg statt Ausbau.
Das Problem mit den Spaltenböden
In Betrieben mit Haltungsform 1 werden Spaltenböden eingesetzt, um die Gülle abzuleiten. Diese Böden stellen jedoch ein erhebliches Risiko für schmerzhafte Klauenverletzungen dar und hindern die Tiere daran, grundlegende Bedürfnisse wie Nahrungsaufnahme und Explorationsverhalten zu erfüllen [6]. Diese Bodenkonstruktionen sind in Tierwohlställen zwar weniger üblich, doch auch hier gibt es systematische Probleme. So wird in einigen Ausläufen Stroh eingestreut, allerdings ohne Spaltenboden. Das führt dazu, dass die Gülle nicht abfließen kann und sich im Stall ansammelt. Wenn das Stroh nicht regelmäßig gewechselt wird, leben die Tiere in ihren eigenen Exkrementen, was sowohl die Lebensqualität der Tiere beeinträchtigt als auch die Hygiene verschlechtert. Werbevideos, die oft im Zusammenhang mit solchen Stallkonzepten gezeigt werden, suggerieren, dass der Verzicht auf Spaltenböden automatisch zu besseren Bedingungen für die Tiere führt. Das ist jedoch eine Vereinfachung. Ohne Spaltenboden und bei unzureichender Reinigung kann es ebenfalls zu erheblichen Problemen kommen, wie z.B. Gesundheitsrisiken für die Tiere. Ein weiteres Problem ist, dass die Ausläufe oft zur Toilette der Schweine werden. Das bedeutet, dass die Tiere, wenn sie draußen sind, zwangsläufig im Kot stehen müssen – eine Situation, die sie natürlicherweise meiden würden.
Gesetzesverstöße in 12 von 21 Ställen
In 12 der 21 Betriebe wurden sogar gesetzliche Mindeststandards verletzt – ein Skandal selbst nach Haltungsstufe 1-Maßstäben. Haltungsstufe 1 orientiert sich an dem gesetzlichen Minimum. Insgesamt dokumentierten wir 19 verschiedene Verstöße, viele davon wiederholt. Das zeigt: Nicht einmal geltendes Recht wird eingehalten. Die Aufnahmen wurden zudem von Expertise for Animals fachlich eingeordnet und die dokumentierten Verstöße bestätigt [7]. ARIWA hat die entsprechenden Betriebe angezeigt.
- Auch eine wissenschaftliche Stellungnahme von Expertise for Animals zeigt, warum die Haltungsform-Kennzeichnung Schweinen nicht gerecht wird.
Mehr zu diesem Thema
- Video zum Download
- Link zum Beitrag beim SPIEGEL
- Link zum TV-Beitrag bei ZDF frontal (ab 19:32 Min.)
- Hintergrundinfos: „Tierwohl“
- Tabelle: Haltungsformen im Vergleich (PDF)
- Stellungnahme von Expertise for Animals: „Warum die Haltungsform-Kennzeichnung Schweinen nicht gerecht wird“ (PDF)
- Stellungnahme von Expertise for Animals: „Einschätzung der dokumentierten Missstände“ (PDF)
- Positionspapier von Faba Konzepte mit politischer Einordnung und Forderungen
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Text: Animal Rights Watch e.V. | Bilder: Animal Rights Watch e.V.
