
Gericht stoppt Tierschutz-Verbandsklagen von ARIWA in NRW
Von 2013 bis 2018 konnten anerkannte Tierschutzverbände in Nordrhein-Westfalen ein besonderes rechtliches Mittel nutzen: das zeitlich befristete Tierschutz-Verbandsklagerecht. Dieses Recht ermöglichte es Tierschutzorganisationen, im Namen der Tiere vor Gericht zu ziehen und behördliche Entscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Tierschutzgesetz prüfen zu lassen. ARIWA war in NRW einer von neun zugelassenen Verbänden und hat diese Möglichkeit intensiv genutzt – mit dem Ziel, den gesetzlichen Tierschutz konsequent durchzusetzen. Nach dem Auslaufen des Verbandsklagerechts hat das Oberverwaltungsgericht NRW in Münster entschieden, dass ARIWA nicht weiter klagen darf. Damit ist der Weg vor Gericht endgültig geschlossen.
Juni 2025, Düsseldorf
Vier Klagen mit Signalwirkung
Neben einer erfolgreichen Klage auf Akteneinsicht brachte ARIWA in nur fünf Jahren drei weitere Verbandsklagen auf den Weg – zu Themen mit erheblicher Bedeutung für Millionen Tiere. Die drei Klagen lauteten:
- Die rechtswidrige Kastenstandhaltung von Muttersauen: Diese verstößt laut Bundesverwaltungsgericht seit über 30 Jahren gegen geltendes Recht – dennoch dulden Behörden diese Praxis weiter. Fast ihr gesamter sogenannter „Reproduktionszyklus“ wird den Sauen ein enger Metallkäfig aufgezwungen, in denen sie sich weder drehen, laufen noch ausstrecken können. Nur während der Geburt und kurzen Aufzucht ihrer Ferkel erhalten sie minimalen Bewegungsraum. Danach werden sie wieder in Metallkäfige gesperrt und zwangsbesamt, eine Praxis, die die körperliche Selbstbestimmung der Tiere vollständig negiert.
- Den Verkauf lebender Hummer: Schon der lange Transport aus Nordamerika und die sogenannte „Hälterung“ – die enge, stressvolle Aufbewahrung lebender Tiere – verursacht massives Leid. Die Tiere werden oft in winzigen Becken ohne ausreichenden Sauerstoff und Ruhe gehalten. Die einzige erlaubte Tötungsmethode – lebendig in siedendem Wasser zu kochen – ist grausam und eindeutig tierschutzwidrig.
- Eine Schweinemastanlage im Kreis Steinfurt: Geführt von der Familie der ehemaligen Landwirtschaftsministerin Christina Schulze Föcking, CDU. Hier hätte die Klage im Erfolgsfall ein Berufsverbot nach sich ziehen können. ARIWA klagte 2018 gegen den Kreis Steinfurt, weil das Veterinäramt trotz massiver Tierschutzverstöße – dokumentiert von tierretter.de – nicht eingeschritten war. Die Bilder zeigten Schweine mit offenen Wunden, Krankheiten und katastrophalen Haltungsbedingungen. Dass die Behörde dennoch keine Maßnahmen ergriff und Akteneinsicht verweigerte, verdeutlicht die Nähe von Politik, Behörden und Agrarlobby – und warum unabhängige Kontrolle so dringend nötig ist.
Gerichtliches Ende ohne Entscheidung
Was aus diesen Verfahren wird, war lange unklar – denn mit dem Auslaufen des Gesetzes 2018 war rechtlich nicht geregelt, ob laufende Verfahren weitergeführt werden dürfen. Im Frühsommer 2025 hat das Oberverwaltungsgericht NRW nun entschieden: Nein – keine dieser Klagen darf weitergeführt werden.
Die Begründung: Mit dem Ende des Gesetzes sei auch die Klagemöglichkeit der Verbände erloschen. Weil der Gesetzgeber keine Übergangsregelung geschaffen hat, müsse nun das sogenannte „Prozessrecht“ gelten. Das bedeutet: Auch Klagen, die korrekt und rechtzeitig eingereicht wurden, können nicht mehr weitergeführt werden.
Mit dem Ende setzte die damalige CDU-FDP-Landesregierung offenbar ein Signal zugunsten der Agrarbranche, die den Ausgang mehrerer Klageverfahren fürchtete. Die von ARIWA eingeleiteten Klagen hätten wichtige Verbesserungen für Tiere bewirken können: Sie hätten grausame Praktiken und sinnloses Töten beendet, Tierschützer*innen Einblick in Vertuschungspraktiken der Veterinärämter gegeben und die engen Verflechtungen zwischen Politik und Lobby offengelegt.
Grundsätzlicher Fehler im System
Im Tierschutzgesetz (§ 1 TierSchG) steht: Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Trotzdem passiert genau das täglich bei Millionen Tieren. Das ist kein kleiner Fehler, sondern ein grundlegendes Problem im System: Das Gesetz wird in der Praxis so umgesetzt, dass die wirtschaftliche Nutzung der Tiere Vorrang hat – und nicht ihr Wohlbefinden. Damit wird der eigentliche Zweck des Gesetzes, das Leben und Wohl der Tiere zu schützen, von Anfang an untergraben.
Kein Klagerecht – keine Kontrolle
Persönliche Rechte sind für Tiere im Tierschutzgesetz (TierSchG) nicht vorgesehen. Das heißt: Tiere können rechtlich nicht wie Menschen für sich selbst klagen. Die Verbandsklage war deshalb bisher die einzige Möglichkeit für Tierschutzorganisationen, die Interessen der Tiere vor Gericht zu vertreten und gegen Missstände in der Tierhaltung vorzugehen. Mit der Abschaffung des Verbandsklagerechts in Nordrhein-Westfalen ist diese wichtige Kontrollmöglichkeit nun verloren gegangen. Davon profitieren vor allem Tierhaltungsbetriebe – auf Kosten der Tiere, die weiterhin unter tierschutzwidrigen Bedingungen leiden. Daher setzt sich ARIWA für eine Tierschutz-Verbandsklage auf Landes- und Bundesebene.
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Text: Animal Rights Watch e.V. | Bilder: Animal Rights Watch e.V.; Tierretter.de
