Versachlichung?
Was meinen die Agrarverbände und Politker damit, wenn sie eine “Versachlichung” der Debatten fordern?
Der Vorwurf der Unsachlichkeit
Immer wieder wird von Seiten der Agrarlobby die Kritik an der modernen Landwirtschaft als unsachlich verunglimpft und es wird eine Versachlichung der Debatte – sowohl im Bereich Tierhaltung, als auch beim Thema Pflanzenschutz oder Gentechnik – gefordert. Hier sind ein paar Beispiele:
„Wir sind nicht mehr bereit, mit Gruppierungen zu diskutieren, die die Landwirtschaft unsachlich angreifen, die diffamieren und bewusst Ängste schüren und Falschinformationen zum Besten geben. Da sagen wir mittlerweile nein.“
Joachim Rukwied, Präsident des Bauernverbandes, im Vorfeld der Grünen Woche und der Wir-haben-es-satt-Demo 2014
Frank Oesterhelweg hat Landwirtschafts-Minister Meyer im Rahmen der Plenar-Sitzung zu mehr Sachlichkeit in der Debatte um eine moderne Landwirtschaft aufgefordert.
„Die Begrifflichkeiten, mit denen der Minister in schöner Regelmäßigkeit um sich wirft, sind eine Beleidigung für die niedersächsische Landwirtschaft. Turbohühner und -Kühe, Qualhaltung oder industrielle Massentierhaltung – mit der großen Mehrheit unserer Landwirte hat das nichts zu tun.“
Mitglied des Landtages Niedersachsen, CDU-Fraktionsvize, Bundeswirtschaftsportal 20.9.2015
Was heißt Sachlichkeit?
Die Begriffe „Sachlichkeit“ und „Versachlichung“ können ja verschiedene Bedeutungen haben.
Wie sachlich ist die Öffentlichkeitsarbeit der Lobbies?
“Der Schlüsselbegriff in diesem Zusammenhang ist »Vertrauen«. Drastisch ausgedrückt denkt der Normalbürger doch so: Der Bauer nebenan, den ich kenne und schätze, kann so viele Ferkel erschlagen, wie er will. Er wird schon seine guten Gründe dafür haben.”
Thomas Preuße, Chefredakteur der DLG-Mitteilungen, auf Bauernhöfe statt Bauernopfer, 3.1.14
„Öffentlichkeitsarbeit an Schulen und Kindergärten ist enorm wichtig“, sagt Venema (aktiv bei KuhTube.com). Kinder haben oft noch ein unkritisches Verhältnis zur Landwirtschaft. Die Chance könne man nutzen und eine positive Bindung zur Landwirtschaft aufbauen. Entscheidend dabei sei, Kindern bzw. Verbrauchern die Möglichkeit zu geben, Landwirtschaft live zu erleben. Denn nirgendwo sonst könne man Emotionen so gut transportieren wie vor Ort im Stall.
top agrar 12/15, S. R6
Fazit
Wenn die Kritik an der modernen Landwirtschaft als „unsachlich“ bezeichnet wird, soll sie damit häufig als uninformiert und unberechtigt dargestellt werden, ohne sich aber mit ihren Argumenten wirklich auseinanderzusetzen. Außerdem wird suggeriert, die Kritik beruhe auf bloßen Gefühlen und diese hätten in der politischen Diskussion nichts verloren – was nicht stimmt. Darüber hinaus soll mit der Forderung nach „Sachlichkeit“ häufig die Debatte über grundlegende Bedingungen der heutigen Landwirtschaft von vorneherein ausgehebelt werden – obwohl genau dies die Debatte ist, die wir als Gesellschaft führen müssen. Teilweise wird der Ausdruck „sachlich“ oder „Versachlichung“ auch einfach so verwendet, weil er sich wohl gut anhört.
In ihrer Öffentlichkeitsarbeit sind die Lobbies selbst gleichzeitig keineswegs sachlich, da sie nicht auf der Basis von Tatsachen argumentieren und bewusst mit Emotionen arbeiten, um Vertrauen in die Landwirtschaft zu bilden – am liebsten direkt bei Kindern und Jugendlichen.
Stand: 07/2019 | Text: © Animal Rights Watch e.V. | Bilder: © Animal Rights Watch e.V.