Typische Reaktionen auf Recherche-Veröffentlichungen – Eine Analyse

Wir kennen sie zur Genüge, die Ausflüchte, Anschuldigungen und verdrehten Darstellungen von Betreiber*innen und Veterinär*innen nach der Veröffentlichung grausamer Bilder von leidenden Tieren. So auch wieder im aktuellen Fall der Putenmastanlagen eines deutschen Geflügel-Lobbyisten. Eine kurze Analyse.

8. Februar 2021, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern

Manipulationsvorwürfe

Mit Falschbehauptungen – etwa, das Videomaterial sei gefälscht – wird versucht, Zweifel zu säen und von der dokumentierten Tierquälerei abzulenken. So zweifelt der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) gegenüber dem Spiegel die Echtheit der Aufnahmen an. Der ZDG, in dem der Betreiber als führender Lobbyist tätig ist, behauptet nicht nur, dass die Aktivist*innen „verletzte und kranke Tiere aus dem Krankenabteil genommen und in die Herde gestellt haben, um sie dort zu filmen“. Es wird sogar noch absurder: auch die Knüppelschläge auf die Puten seien von den Aktivist*innen gestellt.

Solche Behauptungen wollen nicht nur die Öffentlichkeit für dumm verkaufen, sie sind auch eine Beleidigung gegenüber den Journalist*innen, die unser Bildmaterial veröffentlichen – und vorab natürlich sehr genau prüfen. Das Vertrauen dieser Journalist*innen ermöglicht es erst, dass solche Bilder einem breiten Publikum zugänglich werden. Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind schon deshalb eine absolute Selbstverständlichkeit für unsere Arbeit.

Herunterspielen

Damit Menschen weiter ihre Produkte kaufen, tun Tiernutzer*innen nach außen so, als läge hinter den Betonmauern ihrer Anlagen das Tierparadies. Auch Veterinärbehörden lassen sich nicht gerne sagen, sie kämen ihrer Kontrollaufgabe nicht nach.

Das erklärt vielleicht die folgende Aussagen des Betreibers: „Trotz guter Haltungsbedingungen und geschulten Tierbetreuern kann es – auch über Nacht – zu einzelnen verletzten Tieren kommen. Diese werden schnellstmöglich einer veterinärmedizinischen Behandlung zugeführt beziehungsweise in schweren Fällen unverzüglich notgetötet.“ Auch der für eine der Anlagen zuständige Veterinär behauptet: „‚Bei jeder Form der Tierhaltung gibt es auch mal tote oder kranke Tiere.‘ Dies sei aber keineswegs alltäglich.“

Die von uns veröffentlichten Bilder zeigen eine komplett andere Realität: Kranke Tiere werden erschlagen und nicht behandelt. Die Krankenbuchten sind leer und die Kadavertonnen sind vollgestopft mit toten Tieren.

Verantwortung abwälzen

Wie praktisch immer, wenn sich Verstöße nicht mehr leugnen lassen, schiebt auch hier der Betreiber die gefilmten Angestellten als Sündenböcke vor. Sie werden verwarnt und freigesetzt. Der Betreiber selbst gibt vor, nicht zu wissen, wie der Alltag für die abertausend Tiere in seiner eigenen Anlage aussieht. Er ist zwar rechtlich dafür verantwortlich, Arbeitsanweisungen zu erstellen und ihre Einhaltung zu überwachen, und selbstverständlich streicht er auch den Profit aus der Ausbeutung der Puten und der Arbeiter*innen ein. Doch die Größe zuzugeben, dass die gezeigten Bilder eine zwangsläufige Folge des von ihm mit verantworteten Systems sind, hat er nicht.

Im Gegenteil: Sowohl der Betreiber als auch die zuständigen Veterinärämter versuchen auch noch, Schuld auf ARIWA und den Spiegel abzuwälzen. Hätten wir die Bilder früher zur Verfügung gestellt, heißt es, hätten die Tiere weniger leiden müssen. Tatsächlich zeigen unsere Bilder aber schlicht den Normalzustand in diesen Anlagen. Das gezeigte Leid findet dort jeden Tag statt. Die Weitergabe solcher Bilder vor einer Veröffentlichung würde nur eines bewirken: den Versuch, diese Veröffentlichung mit allen Mitteln zu verhindern, damit niemand von den dokumentierten Zuständen erfährt.

Unsere Arbeit dient nicht dazu, dass sich die Profiteure der Tierindustrie aus der Verantwortung stehlen können. Und sie ist auch kein Ersatz für Veterinärämter, die ihrer Arbeit nicht nachkommen. Natürlich unterstützen wir die Ämter und geben Material weiter, wenn sie es anfordern. Aber im Gegensatz zu den Betreibern und Kontrollbehörden sind wir nicht dafür verantwortlich, unter welch grausamen Bedingungen die Tiere leben und sterben müssen.

Keine Frage: Es ist einfacher, die Überbringer*innen der schlechten Botschaft zu beschuldigen, als selbst genau hinzusehen. Denn was sagt es über diese Branche aus, wenn solche Grausamkeiten keine Einzelfälle sind, sondern Standard? Was über staatliche Organe, die daran nichts ändern? Diese Fragen ehrlich zu beantworten, bräuchte vor allem eines: Mut.

Warum wir das Videomaterial nicht an den Betreiber geben

Der Inhaber des Unternehmens  reagiert mit einem Statement, das hauptsächlich aus Ausflüchten, Anschuldigungen und verdrehten Darstellungen besteht, und bittet zugleich ARIWA um die Herausgabe des Videomaterials. Dieser Bitte kommen wir nicht nach. Die Gründe dafür können Sie unserem offenen Antwortschreiben entnehmen.

Stand: 02/2021 | Text: © Animal Rights Watch e.V. | Bilder: © Animal Rights Watch e.V.

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